Eigentlich leben Legionellen im Wasser – ohne Schaden anzurichten. Doch die Bakterien
können auch Menschen befallen und eine mitunter tödliche Lungenentzündung verursachen. In der Schweiz häufen sich die Fälle zusehends. Woran liegt das? Mit beharrlicher Detektivarbeit suchen Fabienne Fischer und Daniel Mäusezahl nach Antworten.
Ori Schipper
Die sogenannte Legionärskrankheit ist noch keine 50 Jahre alt. Sie wurde erstmals 1976 beschrieben, als an einem Treffen der US-Kriegsveteranenvereinigung American Legion in Philadelphia 182 Personen an einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung erkrankten. 29 von ihnen starben. Ein gutes Jahr spä-ter veröffentlichten US-amerikanische Wissenschaftler im angesehenen New England Journal of Medicine, dass die Erreger bis anhin nicht klassifizierte Bakterien waren, die später nach den Kriegsveteranen Legionellen genannt wurden.
Im Kühlwassersystem der Klimaanlage
Doch eigentlich sind Legionellen viel älter als die Krankheit: Die Bakterien leben schon seit Milliarden von Jahren in glitschigen Biofilmen, die sich überall bilden, wo Wasser fliesst. Also nicht nur in Bächen oder Flüssen, sondern zum Beispiel auch im Kühlwassersystem der Klimaanlage des Hotels Bellevue-Stratford in Philadelphia, von wo die Bakterien in fein zerstäubten Wassertröpfchen aufbrachen – und in den Lungenschleimhäuten der befallenen Kriegsveteranen eine neue Heimat fanden.
Aber «Legionellen wurden in kleineren Fallstudien aus dem In- und Ausland auch in 20 bis 70 % der Haushalte nachgewiesen», sagt Daniel Mäusezahl, Forschungsgruppenleiter am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH). Die Bakterien vermehren sich bei Wassertemperaturen zwischen 25° und 45° Celsius, bei Temperaturen von 60° Celsius und mehr sterben sie ab. «Wegen dieser Temperaturabhängigkeit spielen die Legionellen auch hier-
zulande bei aktuellen Diskussionen – etwa im Rahmen der Umsetzung der Energiestrategie 2050 – eine wichtige Rolle», sagt Mäusezahl.
Grundsätzlich können Legionellen zwei verschiedene Erkrankungen verursachen: das Pontiac-Fieber, das einer Grippe gleicht; und die Legionärskrankheit, bei der die Bakterien bis in die Lungen vorstossen – und dort eine Entzündung auslösen. Das kann vor allem bei älteren, gesundheitlich oft schon vorbelasteten Menschen kritisch werden, denn die Legionärskrankheit führt bei ungefähr 5 bis 10 % der Erkrankten zum Tod, obwohl es eigentlich Behandlungen gegen Legionellen gibt. «Allerdings sind nicht alle Antibiotika wirksam», sagt Fabienne Fischer, die in Mäusezahls Forschungsgruppe soeben ihr Doktorat abgeschlossen hat.
Erreger nisten sich in menschlichen Abwehrzellen ein
Denn aufgrund ihres ungewöhnlichen Lebenszyklus (siehe S. 42) sind Legionellen sogenannte intrazelluläre Erreger: Sie nisten sich in den menschlichen Abwehrzellen der Lunge ein – und müssen deshalb mit speziellen Wirkstoffen bekämpft werden. In den Behandlungsleitlinien sind solche Antibiotika aber nur zweite Wahl. Deshalb verschreiben fast die Hälfte der Hausärztinnen und Hausärzte sogenannte Beta-Lactame, die nichts gegen Legionellen
ausrichten, wie Fischer und Mäusezahl kürzlich gezeigt haben.
Viele verschiedene Erreger können eine Lungenentzündung verursachen. Um herauszufinden, ob eine bestimmte Patientin oder ein bestimmter Patient an der Legionärskrankheit leidet, wird in den Spitälern unter anderem ein Urin-Antigen-Schnelltest durchgeführt. Doch bei Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern komme dieser Test nur selten zum Einsatz, sagt Fischer. «Dies entspricht den klinischen Leitlinien. Vielleicht würde es sich lohnen, die-
sen Test auch ausserhalb von Spitälern durchzuführen», meint sie. «Aber zuvor müsste man mit einer Kosten-Nutzen-Abwägung untersuchen, wie sinnvoll die Einführung des Legionellen-Schnelltests in der Hausarztpraxis wäre.»
In weiteren Arbeiten sind die beiden Forschenden schon seit mehreren Jahren der Verbreitung der Legionellen in der Schweiz auf der Spur. Die Legionärskrankheit ist hierzulande seit 1988 meldepflichtig. Wie Mäusezahl und sein Team aufgezeigt haben, sind die Fallzahlen in der Schweiz seit der Jahrtausendwende stetig gestiegen: Sie haben sich in den letzten 20 Jahren fast versiebenfacht. Die Schweiz ist nach Slowenien in Sachen Legionellosen europaweit die
Spitzenreiterin. Niemand weiss wieso.
Mehr Fälle im Sommer als im Winter
Innerhalb der Schweiz haben die Forschenden die höchsten Infektionsraten im Tessin gefunden. Mit aufwendigen statistischen Analysen haben sie untersucht, wann sich die Fälle häufen. Die Daten lieferten zum Beispiel Hinweise, dass das Risiko für Legionellosen mit zunehmender Luftverschmutzung steigt. «Doch der Zusammenhang ist unsicher – und sollte in weiteren Studien überprüft werden», sagt Fischer. Einen deutlicheren Zusammenhang fanden die Forschenden beim Wetter. «Die Infektionen häufen sich, wenn es einige Tage lang warm und feucht ist», sagt Mäusezahl. Unter solchen Umständen könnten sich die Legionellen zuerst vermehren – und dann vom Regen aufgewirbelt werden, um schliesslich in feine Tröpfchen oder Aerosole zu gelangen. Doch dass die Legionärskrankheit eine starke Saisonali-
tät aufweist und im Sommer viel mehr Leute befällt als im Winter, führen Fischer und Mäusezahl nicht nur auf das Wetter zurück. «Eine gute Epidemiologin denkt in viele
Richtungen: Vielleicht ereignen sich im Sommer mehr Fälle, weil dann auch mehr Klimaanlagen in Betrieb sind», sagt Fischer.
Mäusezahl und Fischer denken, dass die gemeldeten Fälle von Legionellosen nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Eine Studie aus Deutschland hat zum Beispiel gezeigt, dass Legionellen knapp 4 % aller Lungenentzündungen mit unbekannten Erregern verursachen – und dass die echten Fallzahlen also knapp zehn Mal höher sind als die gemeldeten. Auch in der Schweiz dürfte die Dunkelziffer ziemlich gross sein, denn Diagnostiktests kämen derzeit eigentlich nur in Spitälern zum Einsatz, geben Fischer und Mäusezahl zu bedenken.
Neue gesamtschweizerische Studie konzipiert
«Wir müssen besser verstehen, weshalb diese Krankheit in der Schweiz so verbreitet ist, wie sich die Legionellen in der natürlichen Umwelt verhalten – und über welche Mechanismen sie auf den Menschen übertragen werden», sagt Mäusezahl. Zu diesem Zweck hat er – in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten vom nationalen Referenzzentrum für Legionellen im Tessin, vom Institut für medi-zinische Mikrobiologie der Universität Zürich und vom Legionellen-Forschungskonsortium LeCo, das vom Wasser-forschungsinstitut Eawag geleitet wird – eine grossangelegte Studie namens SwissLEGIO konzipiert. «Bisher haben 20 verschiedene Universitäts- und Kantonsspitäler aus der ganzen Schweiz ihre Zusammenarbeit zugesichert», sagt Mäusezahl. In der soeben gestarteten Studie werden Patientinnen und Patienten mit einer neu diagnostizierten Legionärskrankheit befragt, wo sie sich in den
Tagen vor der Infektion aufgehalten haben. Die Spitäler schicken Proben, aus denen die Erreger isoliert werden, um deren Erbgut zu sequenzieren. Gleichzeitig werden auch dort, wo sich die Patientinnen und Patienten vor der Infektion aufgehalten haben, Proben aus der Umwelt entnommen.
Die an SwissLEGIO beteiligten Forschenden erwarten, dass der direkte Vergleich der Erbgutsequenzen aus der Klinik und der Umwelt nicht nur hilft, das Vorkommen und die Vi-
rulenz verschiedener Legionellenstämme in der Schweiz in Erfahrung zu bringen, sondern dass die Studie auch dazu beiträgt, die tatsächlichen Infektionsquellen zu identifizie-
ren. Dieses Wissen ist von grossem Wert, um den rätselhaften Vormarsch der Erreger hoffentlich schon bald stoppenzu können.
Lebenszyklus der Legionellen
«Legionellen sind unglaublich faszinierende Pathogene», sagt Mäusezahl. Denn in der Natur lässt sich das Wachstum von Legionellen in zwei Phasen unterteilen. Zuerst beteiligen sie sich – im Verbund mit anderen Bakterien – am Aufbau eines artenreichen schleimigen Biofilms, wo sie hauptsächlich die Zeit überdauern, bis sie von einer Amöbe als vermeintliches Futter aufgenommen werden.
Doch dank eines Tricks entkommen einige Legionellen der Abbaumaschinerie der Amöben und richten sich – in der zweiten Phase ihres Zyklus – in der Wirtszelle häuslich ein. Im Inneren der Amöbe sind die Legionellen nicht nur vor Hitze und chemischen Giften geschützt. Sie finden auch alle organischen Substanzen vor, die sie zu ihrer Vermehrung brauchen. Die Vermehrungsphase endet, wenn die Wirtszelle platzt – und die vielen neuen Legionellen wieder im Biofilm eine Nische finden oder aus den Wasserleitungen ausgespült werden.
«Die Abwehrzellen in der Lunge, die so genannten Makrophagen, sind in vielerlei Hinsicht mit den Amöben vergleichbar», sagt Mäusezahl. So bilden beide Zellarten kleine Fortsätze aus, mit denen sie Mikroben umschlingen – und in sich aufnehmen – können. Und offenbar funktioniert der Trick, den die Legionellen im Laufe der Evolution im Umgang mit Amöben erworben haben, auch bei den Makrophagen in der Lunge.
Mehr Informationen zu den Legionellen-Studien in der Schweiz:
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