Nina Khanna, leitende Ärztin am Universitätsspital Basel und Gruppenleiterin am Departement Biomedizin, forscht zu neuen Therapien gegen Viren und resistente Bakterien. Sie erlebt im Klinikalltag bereits heute Situa-tionen, in welchen kein Antibiotikum mehr gegen resistente Keime wirkt.
Samuel Schlaefli
Nina Khanna ist Titularprofessorin für Infektiologie an der Universität Basel und leitende Ärztin an der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene des Universitätsspitals Basel. Sie hat in Fribourg und Basel studiert und über 20 Jahre Erfahrung in der Infektiologie. In ihrer For-
schung sucht sie neuartige Therapiestrategien bei schweren Infektionen und gegen Antibiotikaresistenzen. Zudem entwickelt sie virusspezifische T-Zell-Therapien für immunsupprimierte Patientinnen und Patienten.
Frau Khanna, wie hat sich die Situation bezüglich antibiotikaresistenter Keime im Spitalalltag verändert, seit Sie vor 20 Jahren in der Infektiologie begannen?
Damals sprachen wir noch davon, dass Staphylococcus epidermidis, den wir alle auf der Haut tragen, zu etwa 50 % resistent gegenüber Penicillin und Methicillin ist. Mittlerweile sind wir sicherlich bei 80 %. Meistens sind diese Erreger nicht sehr gefährlich; selten führen sie zu In-
fekten, zum Beispiel beim Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks. Aber wir erkennen klar eine Evolution zur Resistenzbildung – nicht nur bei Staphylococcus epidermidis, sondern praktisch bei allen Bakterien. In der Medizin und Chirurgie werden zunehmend komplexere
Eingriffe oder Therapien durchgeführt, welche das Risiko für Infektionen erhöhen. Deshalb benötigen Patientinnen und Patienten oft über längere Zeit antibiotische Therapien, was zu einer Selektion von resistenten Erregern führen kann.
Welches sind bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen die Hauptprobleme?
Neben den Resistenzen ist das Therapieversagen ein häufiges Problem. Obschon die Antibiotika im Labor wirksam getestet wurden, führen sie bei der Anwendung oft
nicht zum Therapieerfolg. Der Grund dafür ist, dass die Interaktionen zwischen Bakterien und Antibiotika ausserhalb des Körpers und unter Laborbedingungen anders sind als bei einer realen Infektion im Menschen. Bakterien können sich im Körper verstecken und abkap-
seln, zum Beispiel durch Abszessbildung. In einem solchen Fall wirken Antibiotika ungenügend, weshalb zur optimalen Behandlung zusätzlich eine chirurgische Behandlung notwendig wird. Zur komplexen Wirts-Bakterium-Wechselwirkung gibt es heute noch zahlreiche offene Fragen, zu deren Beantwortung weitere Forschung nötig ist.
Gibt es im Spital vorbeugende Massnahmen gegen Resis-tenzbildung?
Die Infektionsprävention ist entscheidend, damit es zu keinen Übertragungen von Resistenzen kommt oder sich keine Resistenzen entwickeln. Diese beinhaltet unter anderem die Händedesinfektion und Reinigung. Zudem muss, wenn immer möglich, die Übertragungskette unterbrochen werden. Im Verdachtsfall werden Patienten und Patientinnen deshalb isoliert, bis die Laborergebnisse von Abstrichen vorliegen. Zudem wurde in den vergangenen Jahren das Konzept des «Antibiotic Stewardship» entwickelt.
Welche Massnahmen umfasst dieses Konzept?
Ziel ist es, Patienten bestmöglich zu behandeln und gleichzeitig Selektionsprozesse und Resistenzen bei Bakterien zu verhindern. Dafür sollen Antibiotika rational und verantwortungsvoll eingesetzt werden. Wichtige Elemente sind die korrekte Diagnose einer bakteriellen Infektion, die Auswahl des geeigneten Antibiotikums und der Abgabeform, die Anpassung der Therapiedauer sowie die passende Dosierung.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie merken, dass Sie es mit einem resistenten Bakterium zu tun haben?
Wir orientieren uns meist an international etablierten Richtlinien, welche idealerweise auf wissenschaftlicher Evidenz basieren. Die aktuelle Studienlage dokumentiert aber häufig nur bestimmte Anwendungszwecke, weshalb wir in solchen Situationen auf Erfahrungswerte zurückgreifen müssen. Ein Beispiel dafür: Als zu Beginn der Coronapandemie viele Lungeninfektionen auftraten, haben wir direkt mit den Kollegen und Kolleginnen in Ita-
lien und im Tessin telefoniert und sie nach ihren Erfahrungen gefragt, weil es noch keine wissenschaftliche Evidenz oder Richtlinien gab.
Begegnen Sie in der Klinik heute schon Infektionen, die mit gängigen Antibiotika nicht mehr behandelbar sind?
Ja, das kommt leider vor, ist bei uns aber zum Glück noch selten. Meist sind es Patientinnen und Patienten, welche im Ausland hospitalisiert waren, die zurückverlegt werden und bereits mit einem multiresistenten Keim besiedelt oder infiziert sind. Deshalb ist das Einleiten von
vorbeugenden Isolationsmassnahmen durch die Spitalhygiene äusserst wichtig.
In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich mit zellulären Therapien gegen Viren und resistente Bakterien. Für Ihre Arbeit zu Designerzellen, die resistente Keime aufspüren und zerstören, wurden Sie 2019 mit dem Wissenschaftspreis der Stadt Basel ausgezeichnet. Wie funktionieren solche Therapien?
Die untersuchten Designerzellen sind neu programmierte menschliche Zellen, die auf einen definierten Reiz eines Bakteriums einen antibakteriellen Stoff produzieren. Das Enzym «Lysostaphin» kann Bakterien gezielt bekämpfen. Dieses Konzept wurde bislang nur ausserhalb des menschlichen Körpers und im Labor geprüft. Wir arbeiten zudem an sogenannten wirtsunterstützenden Therapien. Dafür kultivieren wir Zellen von gesunden Spendern, die gegen ein Virus wirken, und verabreichen diese abwehrgeschwächten Patientinnen und Patienten. In unserer Forschung fragen wir uns also, wie wir das Immunsystem gezielt stärken können, damit ein Virus kontrolliert werden kann. Traditionelle Antibiotika, wie Penicillin und viele Nachfolgeprodukte, basieren auf kleinen chemischen Molekülen.
Ist diese Art der Antibiotikaentwicklung heute ausgeschöpft?
Nein, das glaube ich nicht. Es sind verschiedene neue Kandidaten in Entwicklung. In Lausanne zum Beispiel arbeitet das Unternehmen «Debiopharm» an einem neuen, bisher noch nicht verwendeten Wirkmechanismus – dem Fettsäurezyklus von Bakterien. Heute zielt man
meist auf die Zellwand, Ribosomen oder den Zellkern, also die DNA, der Bakterien. Problematisch ist nur, dass diese neuen Moleküle oft sehr spezifisch wirken, sie kommen also nur in seltenen Fällen zum Einsatz – und damit stellt sich dann wieder die Frage nach der kommerziellen Machbarkeit. Das Interesse an alternativen Ansätzen, wie Zelltherapien oder Phagen, also Viren, die gegen Bakterien wirken, hat deshalb in den letzten Jahren stark
zugenommen.
Sie forschen seit 2020 auch im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts «AntiResist». Wo liegt Ihr Fokus dort?
Wir wollen die Interaktion von Bakterien und Mensch besser verstehen lernen, um neue Therapiemöglichkeiten zu identifizieren. Dafür arbeiten wir mit Proben aus der Klinik, zum Beispiel Gewebe, Urin oder Lungensekret, welche im Rahmen von nötigen Untersuchungen gewonnen werden. Im Team entwickeln wir Methoden und In-Vitro-Modelle, mit welchen die Bedingungen beim Menschen nachgeahmt werden, um neue Substanzen im Labor zu testen. Wir hoffen, dadurch neue Angriffspunkte für die Behandlung bei multiresistenten Keimen zu
finden. Der Schlüssel hierzu liegt in der engen Zusammenarbeit von Forschenden aus Medizin, Biologie, Physik, Chemie, Datenwissenschaften und Bioingenieurswesen.
Besteht Ihrer Meinung nach heute in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die enormen globalen Gesundheitsrisiken durch Antibiotikaresistenzen?
Ich denke schon. Die Frage ist vielmehr, was braucht es, damit wir ins Handeln kommen? Es ist ähnlich wie bei der Klimakrise: Wir wissen schon länger, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit ein tiefgreifender Handlungsbedarf besteht. Die Frage ist, weshalb wir uns nicht schon früher mit nützlichen Strategien auseinandergesetzt haben? Deshalb sollte auch die Krise der Antibiotikaresis-tenzen zum gesellschaftspolitischen Thema werden.
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