Mit künstlicher Intelligenz entwickelt Tobias Schindler vom Swiss TPH neue Diagnostika gegen vernachlässigte Krankheiten. Mit menschlicher Intelligenz und Leidenschaft widmet er sich dem Kampf gegen die Corona-Infektion in Westafrika. Dafür verleiht ihm die R. Geigy-Stiftung den 11. R. Geigy-Preis 2020.
Die wissenschaftliche Karriere von Tobias Schindler beginnt mit einem Schock: «Ich arbeitete an einem Forschungsinstitut in Tansania und merkte plötzlich, wie schwierig es für das Gesundheitspersonal dort war, die einfachsten Fiebererkrankungen richtig zu diagnostizieren», sagt der 33-Jährige. Patienten mit Fieber werden routinemässig und
mangels besseren Wissens gegen Malaria behandelt. Eine exaktere Diagnose ist oft nicht möglich. Für Schindler ist klar: Er möchte sich in Zukunft der Entwicklung neuer Diagnostika für unterprivilegierte Länder des Südens verschreiben.
Tobias Schindler ist Zivildienstleistender, als er zum ersten Mal seinen Fuss auf Afrika setzt. Genauer: Nach Bagamoyo, einer kleinen Stadt an der Küste Tansanias. Es ist ein einzigartiges Zentrum für Wissenschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Hier hat das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) zusammen mit dem Ifakara Health Institute (IHI) modernste wissenschaftliche Laboratorien eingerichtet. Gemeinsam sind sie daran, ei-
nen neuen Malaria-Impfstoff in einem Phase-II-Versuch zu testen. Das Produkt aus dem Hause Sanaria ist ein abgeschwächter Lebendimpfstoff. Um die Wirksamkeit des Impfstoffs effizient zu untersuchen, wird eine Plattform für eine kontrollierte Malaria-Infektion aufgebaut. Die erste in Afrika. Den Probandinnen und Probanden werden infektiöse Malaria-Erreger (sogenannte Sporozoiten) injiziert. Und sie werden gegen die Krankheit behandelt, unmittelbar nachdem der Malariaparasit im Blut nachweisbar ist. «Dieser Impfversuch stellte hohe Anforderungen an die Diagnostik», erinnert sich Tobias Schindler. Die Patientinnen und Patienten müssen Tag und Nacht überwacht werden, um sie beim geringsten Anzeichen einer Infektion rasch zu behandeln.
Das Team um Schindler vom Swiss TPH etabliert eine Diagnostik-Plattform mit modernsten
molekularen Tests. Immer wieder werden auch Studierende und Praktikantinnen und Praktikanten aus der Universität Dar es Salaam in molekularer Diagnostik ausgebildet. «Dank diesen kontrollierten Infektionen haben wir sehr viel über Malaria gelernt», sagt Schindler. Zum Beispiel, dass sich der Malariaparasit bei Menschen in Risikogebieten viel langsamer vermehrt als bei Europäern oder Amerikanern. Ob der Impfstoff je auf den Markt kommen
wird, steht noch in den Sternen. Ein geplanter Phase-III-Versuch in Äquatorialguinea muss aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden. Aber auch sonst sind Zweifel
angebracht: Die Daten aus Bagamoyo beweisen, dass der Impfstoff sicher ist. Doch fällt der Impfschutz bei Afrika-nerinnen und Afrikanern geringer aus als zum Beispiel bei Europäern, die noch nie eine Malariainfektion erleiden mussten. «Für eine abschliessende Beurteilung des Potenzials des Sporozoiten-Impfstoffs müssen wir die Resultate weiterer klinischer Versuche abwarten», gibt sich Schindler deshalb zurückhaltend.
Der afrikanische Augenwurm
Malaria ist nicht die einzige Krankheit, die den noch jungen Wissenschaftler Tobias Schindler umtreibt. Da ist z. B. auch Loa loa. Was ein bisschen nach brasilianischem Rhythmus klingt, ist in Wirklichkeit eine heimtückische Krankheit. Eine Filarienerkrankung, unter welcher Millio-
nen von Menschen in West- und Zentralafrika leiden. Sie wird durch den Stich einer Bremse auf den Menschen übertragen. Einmal in ihrem Wirt, wandern die Larven durch den Körper, entwickeln sich zu Würmern. Diese leben und bewegen sich unter der Haut. Zuweilen zeigen sie sich im Bindegewebe des Auges, weshalb ihnen auch der Name «afrikanischer Augenwurm» anhaftet. Tobias Schindler wird in Malabo zum ersten Mal auf Loa loa aufmerksam. Er steht im
Labor und analysiert die Blutausstriche für die Malariadiagnostik. «Wir haben bemerkt, dass die Loa loa-Würmer viel häufiger sind als der Malariaparasit selbst», sagt Schindler. Wie bei vielen anderen vernachlässigten Krankheiten sind noch viele Rätsel ungelöst: Wo stecken sich die Menschen mit diesen Würmern an? Wer ist von der Krankheit besonders betroffen?
Mit künstlicher Intelligenz gegen Loa loa
Auch später, zurück in Basel, brennen Tobias Schindler diese Fragen unter den Nägeln. Und er beschliesst, sich ihnen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu nähern. Gemeinsam mit einem tansanischen Forscher entwickelt er einen Algorithmus, von dem sie hoffen, dass er ein Muster aus ihren grossen Datensätzen herauslesen kann. Das Resultat ist verwirrend: Glaubt man der künstlichen Intelligenz so, sind es vor allem ältere, alleinstehende Männer in ländlichen Regionen Äquatorialguineas, die von dem Wurm befallen werden. «Das alles machte für mich wenig Sinn», gibt Tobias Schindler zu. Bis er mit einem älteren Laborangestellten ins Gespräch kommt. Für den Einheimischen ist der Fall sonnenklar: «Es sind die Kakao-Bauern!»,
sagt er. Diese leben alleine in den Feldern und sind den infektiösen Stichen von sehr kleinen Mücken ausgesetzt. Denn die unheilbringenden Insekten bestäuben auch die Kakao-Pflanze und werden durch das Rösten angelockt. «Künstliche Intelligenz alleine bringt nichts», sagt deshalb Tobias Schindler. «Sie bedarf immer auch des Wissens aus dem Feld, der Erfahrungen der Menschen vor Ort.» Dieser Austausch zwischen modernster Technologie und praktischer Feldarbeit wird Schindler auch in Zukunft beschäftigen. Mit Forschenden der ETH Zürich ist er momentan dabei, ein neues PCR-Diagnostik-Gerät für einkommensschwache Länder zu entwickeln und zu evaluieren. «Das Gerät existiert erst im Prototyp, aber je früher man das zu den betroffenen Menschen bringt, umso besser», sagt er.
Comments