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Mit Virtual Reality und Teamheimaten zum Boston Europas

Samuel Schlaefli


Wer von Basel entlang des Hegenheimermattwegs Richtung Allschwil fährt und dabei die Kantonsgrenze nach Baselland überschreitet, merkt rasch: Hier, in der Stadtperipherie, entsteht Grosses. Zur Rechten eröffnet sich eine riesige Baubrache, wo hunderte von Bauarbeitern über das Areal wuseln, Betonwände giessen und mit Kranen Stahlträger hieven. Wo vor wenigen Jahren noch die Dorfbewohner und -bewohnerinnen Allschwils in Schrebergärten ihre Tomaten und Gurken pflegten, wird aktuell ein Life Science-Campus zum Leben erweckt. Auf dem ‹BaseLink›-Areal (siehe S. 38) sollen auf 75 000 m2 Fläche einst dutzende Start-ups, Forschungsgruppen und etablierte Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich eine Heimat finden.



Silicon Valley-Atmosphäre in Allschwil


Einige Bauten sind erst in Planung, andere stehen bereits im Rohbau und wenige sind kurz vor Abschluss. Die meisten Mieter und Mieterinnen werden ab 2022 einziehen; nur die ‹Innovation Garage› am südlichen Ende des Areals hat ihren Betrieb bereits diesen Sommer aufgenommen. Im Eingangsbereich des offenen Raums steht prominent eine glänzende Kolbenkaffeemaschine aus Chromstahl. Die Wände in blau-weissem Pastell wirken bewusst unfertig. Pink gestrichene Metallstangen schaffen Arbeitsinseln, wo man sich mit Segeltuch einen temporären Raum abtrennen kann. Neben Whiteboards und Stehtischen auf Rollen steht in einer Ecke ein rosa Sofa vor einem Glastisch. Darauf liegt das Magazin ‹MIT Technology Review›. Alessandro Mazzetti, ‹Manager Innovation Alliances› in der Garage, bietet einen Espresso an und beginnt von seinen Plänen zu erzählen: «Wir wollen hier vor allem Projekte unterstützen, die einen

gesellschaftlichen Impact haben; also Forschung über die Publikationen hinweg in die Praxis tragen, sodass sie für Menschen relevant wird.» ‹Beyond research› nennt er das.


In der Garage ist das ‹Innovation Office› der Universität Basel zuhause, ein Team von neun Leuten, das in den kommenden Monaten auf zwölf anwachsen wird. Hier sollen Start-ups auf Erfolg getrimmt und Forschende mit der Industrie vernetzt werden. Das Innovation Office ist eine Initiative von Andrea Schenker-Wicki, der Rektorin der Universität Basel. Die Lebensmittel- und Wirtschaftswissenschaftlerin schrieb sich bei ihrem Antritt 2015 ‹Entrepreneurship› und die Förderung von Spin-offs, allen voran aus dem Life Science-Bereich, auf die Fahne. Seither findet zweimal pro Jahr ein zwölfwöchiger Kurs zu ‹Entrepreneurship› für Studierende und Mitarbeitende der Universität statt. Pro Semester werden aus den Bewerbungen die 25 besten ausgewählt. «Wir versorgen Jungunternehmer mit einer Blaupause für die Firmengründung», sagt Leonie Kellner, ‹Entrepreneurship Program Manager›. In den Abendkursen, die seit Herbst in der Garage stattfinden, werden Themen wie Business-Idee, Geschäftsmodell, Urheberrechte und Marketing abgedeckt. Die aussichtsreichsten Teilnehmer und Teilnehmerinnen können sich am Ende für einen ‹Propelling Grant› bewerben; für 50 000 Franken, um die eigene Idee weiter auszuarbeiten. Der Erfolg lasse sich sehen, sagt Kellner: «Vor wenigen Jahren gab es an der Uni durchschnittlich ein bis vier Spin-offs pro Jahr. Heute sind es neun bis zehn.»


Neben der Start-up-Förderung soll hier die Vernetzung zwischen Universität und Privatunternehmen gezielt vorangetrieben werden. Public-Private Partnerships heisst das Zauberwort. Unter dem Label ‹Bio Campus› vernetzt das Office gezielt Pharmaunternehmen und Hochschulen im Dreiländereck. ‹SPEARHEAD› wiederum ist ein 7-Millionen-Flagship-Projekt, das durch die Innosuisse und Industriepartner finanziert wird. Ziel ist ein intelligenter Einsatz von Antibiotika mit höherer Behandlungsqualität. Vier Universitätsspitäler und acht Forschungsgruppen aus der gesamten Schweiz sind daran beteiligt. Parallel dazu ist das

Innovation Office Mitgründer von ‹INCATE›, einem Inkubator, der die Entwicklung neuer Therapien und Massnahmen gegen zunehmende Antibiotikaresistenzen unterstützt; eine der grossen Herausforderungen im globalen Gesundheitssystem.


Mazzetti hofft, dass nach Einzug der anderen Mieterinnen und Mieter möglichst viele für einen Austausch in der Garage vorbeischauen. «Letzte Woche hat sich zum Beispiel spontan der Direktor für Forschung und Entwicklung eines grossen Pharmakonzerns in der Nachbarschaft bei uns gemeldet, nachdem er gesehen hat, dass wir eingezogen sind», erzählt Mazzetti. «Wir haben ihn hierhin eingeladen und eine Stunde lang über unsere Tätigkeiten gesprochen.»

Mazzettis Vision: Wer über das BaseLink-Areal schlendert, der trifft zufällig auf einen CEO eines börsenkotierten Unternehmens oder auf eine aufstrebende Jungentrepreneurin. Und während in einem Gebäude gerade Start-ups ihre Geschäftsidee vor potenziellen Investoren ‹pitchen›, präsentieren woanders Wissenschaftlerinnen ihre neusten Erkenntnisse. All das verdichtet auf 75 000 m2. «Basel hat das Potenzial, zum Boston Europas zu werden», ist Mazzetti überzeugt und verweist damit unbescheiden auf den US-amerikanischen Start-up-Hotspot im Pharmabereich. «Dieses Areal spielt dabei eine zentrale Rolle.»



Zusage des Swiss TPH als Initialzündung


Für die aktuelle ‹Bostonisierung› Allschwils war eine Per-son zentral: Marcel Tanner, der ehemalige Direktor des Swiss TPH. 2013 entschied sich das Institut als erster Interessent dafür, seine in sieben Gebäuden in der Basler Innenstadt verzettelten Büros und Labors, an die Peripherie nach Allschwil zu zügeln. Werner Nüesch, ein Freund Tanners seit Kindheit, der beim Bürgerspital Basel, dem Grundstückseigentümer, für Bauten zuständig war, hatte ihm den Floh ins Ohr gesetzt. Der Umzug bot sich auch aus politischen Gründen an: Tanner wollte den Kanton Basel-Landschaft als Mitträger für das Swiss TPH gewinnen, was dem Institut wiederum neue Möglichkeiten für die Unterstützung durch den Bund eröffnete. Zugleich hatte Tanner

von Beginn weg eine Vision: Einen ‹Kristallisationspunkt› für die Life Sciences wollte er schaffen, mit Forschung, Privatwirtschaft, Start-ups – alle dicht beieinander und verbunden durch kurze Wege. «Innovation kann man nicht planen», sagt Tanner heute. «Innovation entsteht, wenn die richtigen Leute zusammenkommen.» Der Entscheid des Swiss TPH, auf dem BaseLink-Areal zu bauen, wirkte wie ein Mag-net für Entwickler, die fortan davon überzeugt waren, dass sich auch andere Forschungsinstitute und Unternehmen aus dem Gesundheits- und Medizintechnik-Bereich hier niederlassen würden.


An einem sonnigen Donnerstagmorgen Mitte August treffe ich Marcel Tanner auf dem BaseLink-Areal. Ich möchte von ihm wissen, wie weit die Zukunft des ‹Belo Horizonte›, des Neubaus des Swiss TPH bereits gediehen ist. Der 98 Meter lange und 30 Meter breite Bau liegt gleich gegenüber der ‹Innovation Garage›. An der Glasfassade wachsen an Stahldrähten Kletterpflanzen empor. Wenn alles gut geht, werden sie das Gebäude nächsten Sommer wie ein grüner, blühender Mantel einfassen. Das soll nicht nur gut aussehen, sondern helfen, Belo Horizonte im Sommer zu beschatten und zu kühlen. Im zentralen, lichtdurchfluteten Atrium im Erdgeschoss kontrastieren die rauen Betonwände, die bewusst noch die Maserung der Schalung tragen, stark mit dem hellen Parkett und der Holzlammellenkonstruktion an der Decke. Die Schlüsselübergabe fand Mitte September statt, und ab Oktober sind die ersten

Mitarbeitenden eingezogen. Während unseres Besuchs im August ist noch ein Heer von Haustechnikern und Planern damit beschäftigt, die IT, Energieversorgung und das

Gastroangebot fertigzustellen.



Biobank als Basis für Erfolg


Im Untergeschoss liegt «die Schatzkammer des Instituts», wie Tanner die Biobank nennt. «Sie ist die Grundlage für eine gute Public Health-Forschung», sagt der Epidemiologe. Hunderttausende von Proben in kleinen Kunststoffröhrchen werden hier einst lagern – Blut, Gewebeproben, Urin, Organschnitte. Es sind Proben, die Forschende des Swiss TPH im Rahmen von weltweiten Forschungspartnerschaften nach Basel bringen und die hier systematisch ein-

gelagert werden. Die Proben werden vor dem Einfrieren in kleinste Portionen geteilt und systematisch erfasst, so dass stets ein Sample für interne und externe Studien zur

Verfügung steht, ohne dass die Gesamtprobe aufgetaut werden muss. «Die Biobank ermöglicht uns zum Beispiel, Umwelteinflüsse auf die menschliche Gesundheit mit Kohorten über sehr lange Zeiträume nachzuverfolgen», erklärt Tanner. Anders als beim Altbau an der Socinstrasse ist hier erstmals eine Lagerung unter Flüssigstickstoff bei –196 °C möglich (früher in Kühlschränken bei –80 °C). Damit kann die Qualität der Proben langfristig noch besser gesichert werden. Neben dem Eingang im Erdgeschoss wurde dafür eigens ein grosser Tank mit Flüssigstickstoff installiert; quasi das Herz von Belo Horizonte, das über glänzende Metallrohre – Arterien ähnlich – die Schatzkammer versorgt.


Im 1. und 2. Geschoss sind die Labors untergebracht. Die Kapellen sind installiert, die Laborgeräte kommen erst noch. Hier kann bis zu Bio-Sicherheitsstufe drei gearbeitet werden, also zum Beispiel mit Mykobakterien (Tuberkulose) oder Coronaviren. Nicht jedoch mit Ebola oder Anthrax. Vor den Labors gibt es Schleusen zum Umziehen, drinnen herrscht Unterdruck, damit keine Organismen an die Umgebung gelangen können. Im Vergleich zu den alten Räumlichkeiten an der Socinstrasse werden die Laborkapazitäten verfünffacht. Im Moment habe man noch Überkapazitäten, sagt Stefan Mörgeli, Tanners früherer administrativer Direktor, der nun die Bauherrenvertretung fürs Swiss TPH macht und uns durchs Gebäude führt. «Deshalb bieten wir gerne Hand, wenn jemand auf dem Areal noch Platz braucht.» So wird zum Beispiel der Spin-off ‹T3 Pharma› vom Biozentrum hier einziehen, bis deren definitive Labors auf dem ‹BaseLink›-Areal fertig gebaut sind.


Wir gehen hinauf in die Büros im 3. und 4. Stockwerk. Wände sucht man hier vergebens, ebenso fixe Sitzplätze. Zu den Fenstern hin gibt es sogenannte Teamheimaten, wo sich die Mitarbeitenden eines Teams flexibel einen Platz suchen. Das gefällt Tanner: «Für die interdisziplinäre Zusammenarbeit, wie sie am Swiss TPH gefördert wird, sind solche Teamheimaten sehr wichtig.» Mörgeli will dadurch auch vermeiden, dass Platz ungenutzt bleibt. «Unsere Forscher und Forscherinnen sind oft für Feldbesuche im Ausland. Die Studierenden sind nur während des Semesters hier, und manche Mitarbeitende arbeiten tageweise von zuhause aus.» Deshalb hat es im Belo Horizonte lediglich noch Arbeitsplätze für 55 Prozent der Gesamtbelegschaft. Über eine elegante Wendeltreppe sind die beiden Stock-

werke miteinander verbunden. «Wir wollten das Ganze so durchlässig wie möglich gestalten und dadurch den Austausch untereinander fördern», erklärt Mörgeli. Deshalb gibt es auf jedem Stockwerk auch Inseln mit einer kleinen Küche und Kaffeemaschine. «Nobelpreisträger sind an solchen Orten entstanden und nicht in Einzelbüros», sagt Mörgeli.



Actelion – die Pharmapioniere in Allschwil


Die Ursprünge des sich derzeit herausbildenden Life Science-Clusters in Allschwil gehen auf die späten 90er-Jahre zurück. Prägend dafür war vor allem ein Name: ‹Actelion›. Das von vier ehemaligen Roche-Mitarbeitenden gegründete Pharmaunternehmen setzte von Beginn weg auf Allschwil als Standort. Einer der vier Gründer und Gründerinnen lebte damals in Allschwil und joggte regelmässig in der Gegend. Er erkannte, dass es hier noch Raum gab und sich erste Start-ups angesiedelt hatten. Im April 1998 begann Actelion mit zehn Mitarbeitenden im 5. Stock des heutigen Innovationsparks an der Gewerbestrasse. Zwischen den einzelnen Büros gab es Tische zum Kaffeetrinken und Schwatzen, welche von den Mitarbeitenden ‹Les Cafés de Paris› genannt wurden. «Das war damals eine sehr bewusste Entscheidung und für die meisten noch neu», erzählt Martine Clozel, Kinderärztin und eine der Gründerinnen. «Für Innovation braucht es kurze Wege und viel Kommunikation – vor allem in der biomedizinischen Forschung, wo man ständig Entscheidungen treffen muss.» Sich per Zufall irgendwo über den Weg zu laufen, könne ausseror-dentlich produktiv sein, ist sie überzeugt.


Actelion wuchs rasant und liess sich ab 2007 von den renommierten Basler Architekten Herzog & de Meuron einen Campus am Hegenheimermattweg bauen. Dieser steht für den eigentlichen Beginn des Life Science-Booms in Allschwil. Das Hauptgebäude ist eine Ikone; ein eigenwilli-ger, expressiver Schachtelbau aus Stahl und Glas. «Wir wollten ein Gebäude, das unseren Fokus auf Innovation architektonisch nach innen und aussen erfahrbar macht», erinnert sich Clozel. Seither hat sich ein kleiner Pharma-Mikrokosmos in der Umgebung angesiedelt: Das medizinische Labor Viollier, mit über 700 Mitarbeitenden, das auf Antibiotika spezialisierte Pharmaunternehmen Polyphor und das Generika-Hauptquartier von Abott sind in unmit-

telbarer Nähe.


Mittlerweile hat der Pharmagigant Johnson & Johnson Actelion inklusive des eigenwilligen Baus für 30 Milliarden übernommen. Martine Clozel und ihr Mann Jean-Paul gründeten daraufhin 2017 in den Laborgebäuden gleich nebenan eine neue Firma: ‹Idorsia›. Im Namen erkennen viele das Akronym für ‹I do research in Allschwil›. Innert vier Jahren ist Idorsia auf über 900 Mitarbeitende angewachsen – und die Clozels haben Grosses vor: «Zwei Komponenten könnten schon nächstes Jahr zugelassen werden und auf den Markt kommen. Zudem sind 12 Moleküle in der klinischen Entwicklung, und wir haben mehrere Projekte im Forschungsstadium», erzählt Clozel.


Für das angestrebte Wachstum soll der Idorsia-Campus um ein Gebäude erweitert und Raum für zusätzliche 350 bis 400 Mitarbeitende geschaffen werden. «Unser ‹Commitment› gegenüber diesem Standort ist sehr hoch», sagt Clozel. «Was die meisten Unternehmen hier verbindet, ist die konstante Suche nach medizinischem Fortschritt». Die Nähe und der gemeinsame Fokus auf Gesundheit führe ganz natürlich zu Kollaborationen, ist Clozel überzeugt. Sie hoffe nun, dass sich dieser Standort mit den Neuansiedlungen im BaseLink-Aral gesund entwickle und nicht am Ende Opfer seines Erfolgs werde. Eine bessere Anbindung an den ÖV, mehr Geschäfte und vielfältigere Restaurants für die Mitarbeitenden sowie Tagesstätten für berufstätige Eltern – all das sei entscheidend, damit sich die Mitarbeitenden wohl fühlten.



Mit Virtual Reality und Laser die Medizin revolutionieren


Gleich hinter dem Hauptgebäude von Idorsia steht ein wenig spektakulärer, schon etwas älterer fünfgeschossiger Zweckbau. Niemand würde beim Vorbeigehen erwarten, dass sich hier ein Blick in die Zukunft der Medizin werfen lässt. Doch im dritten Stockwerk, in den Labors des ‹Department of Biomedical Engineering› (DBE) der Universität Basel, sitzen zwei Doktoranden an PC-Stationen mit grossen Flachbildschirmen. Sie bereiten gerade eine Präsentation mit Virtual Reality-Brillen für ein Medtech-Unternehmen vor. Wer sich die Brille überstülpt, sieht das 3D-Modell eines Rückenskeletts, basierend auf den realen Daten eines Scans mit einem Computertomographen im Spital. Mit einem 3D-Controller können Ärzte und Ärztinnen das Modell frei im Raum bewegen, bestimmte Punkte anzeichnen oder einen Eingriff simulieren. «Ein solches Modell ist in 30 Sekunden erstellt», erklärt Philippe Cattin, Professor für medizinische Bildanalyse. «Dadurch können Operationen viel schneller geplant und besser vorbereitet werden. Zudem ist es möglich, sich über Internet direkt am 3D-Modell mit

Experten auf der ganzen Welt zu beraten.» In einem anderen Labor zeigt Cattin einen Roboterarm, für den am Departement Aufsätze mit Lasern entwickelt werden. Damit können Knochen auf ein Fünftel Millimeter genau und in sämtlichen Geometrien geschnitten werden. Das wirkt sich positiv auf den Heilungsprozess der betroffenen Knochen aus. Aktuell wird das System für Knieoperationen minia-turisiert. Dafür brüten gleich nebenan fünf Forschende über grossen Steckplatten voller Elektronik.


Cattin ist seit 2014 Leiter des einzigen Departements der Universität Basel auf Boden des Kantons Basel-Landschaft. Ende 2022 werden die Mitarbeitenden rund 500 Meter weiter Richtung Stadt neue Büros und Labors im grössten Bau auf dem BaseLink-Areal, dem ‹Switzerland Innovation Park Basel Area Main Campus› (siehe S. 38) beziehen. «Ich habe

kürzlich auf der Baustelle gesehen, dass mein Büro nun bereits eine Scheibe hat», sagt Cattin und lacht. Er freut sich auf den Umzug, denn bisher sei das DBE hier etwas verloren gewesen. Die Essmöglichkeiten sind beschränkt, wer abends länger bleiben will, hat keine Busse mehr in die Stadt. Am Tag meines Besuchs empfängt der Professor aber noch in seinem Büro im 4. Stock des Zweckbaus. Hinter dem Sitzungstisch hängt ein grosses elektronisches Whiteboard, daneben ein Bild mit dem Schriftzug ‹Follow your dreams›. Auf einer Ablage neben dem Pult liegt eine Fernsteuerung für einen Modellhelikopter. «Meine Entspannung», sagt Cattin. Manchmal fliege er in der Pause eine Runde, bis die Batterie leer und sein Kopf wieder frei ist.


Cattin beschreibt die Arbeit am DBE wie folgt: «Wir sind der erweiterte Werkzeugkasten für Ärzte». Sein Team besteht aus Physikern, Mathematikerinnen, Ingenieuren, Computerwissenschaftlerinnen und Bewegungswissenschaftlern. Sie entwickeln in Zusammenarbeit mit klinischen Partnern neuartige Geräte und Algorithmen, welche Medizinern ihre tägliche Arbeit erleichtern sollen. Zugleich ist das DBE eine Art ‹Start-up-Schmiede› der Universität; die Translation der Forschung in die Praxis wird hier grossgeschrieben und dem DBE sind bis heute 15 Spin-offs entwachsen. Cattin selbst ist gerade an der dritten Firmengründung. Für Innovation und Entrepreneurship brauche es vor allem zwei Dinge: Vorbilder und sehr viel Freiraum. Gerade bei Letzterem erkennt er ein Problem: «Nur wenige Stiftungen und Förderorganisationen sind bereit ‹high risk – high gain›-Projekte zu unterstützen.» Cattin macht an einem Beispiel deutlich, dass es auch anders geht: Als er das Flagship-Projekt ‹MIRACLE› zum Einsatz von Lasern im OP initiierte, sei nicht klar gewesen, was am Ende dabei herauskomme. Trotzdem hat die Werner Siemens Stiftung 27 Millionen Franken für zwei sechsjährige Projektphasen mit teils bis zu 50 Forschenden zur Verfügung gestellt. Bis heute sind daraus drei Spin-offs entstanden. «Niemand glaubte uns zu Beginn, dass Knochenschneiden mit dem Laser überhaupt möglich ist.»


Cattin erkennt im sich formenden Life Science-Hub grosses Potenzial für Kooperationen. Als er erfuhr, dass das Swiss TPH nach Allschwil zieht, hat er Marcel Tanner und den aktuellen Direktor Jürg Utzinger ans DBE eingeladen. Aktuell arbeitet ein Postdoc mit Forschenden des Swiss TPH an einer App zur dezentralisierten Beurteilung von Moskitonetzen. Solche Daten könnten Behörden einst helfen, besser abzuschätzen, wer noch taugliche Netze hat und vor

Malaria geschützt ist. Zudem hat Cattin kürzlich an einem ‹Protagonistentreffen› erfahren, dass das Unternehmen ‹Skan›, das seit Kurzem auf dem Areal ist, sich im Rahmen seiner Produktentwicklung auch für Virtual Reality interessiere. «Genau das ist eine unserer Kompetenzen.»




Eine neue Wissenschaftskultur schaffen


Eines ist klar: Die Euphorie über ‹Entrepreneurship›, ‹Public-Private Partnerships› und Innovationspotenziale ist auf dem BaseLink-Areal allgegenwärtig. Dabei drängt sich die

Frage auf: Geht es hier in erster Linie um Wirtschaftsförderung oder wirklich um Impact – also darum, bessere Lösungen für die dringendsten Gesundheitsprobleme unserer Zeit zu finden? Und kommt bei all der Euphorie für Translation und Anwendbarkeit die Grundlagenforschung nicht zu kurz, die meist nur indirekt und langfristig in konkreten Produkten mündet, aber für die grossen Herausforderungen zentral ist, wie die Nobelpreise jedes Jahr von Neuem zeigen?


Marcel Tanner hält nichts von solchen Bedenken: «Die Wissenschaftskultur muss sich unbedingt verändern. Forschende sollten viel weniger in ihren Gärtchen denken und Wissen teilen – auch über die Grenzen zur Privatwirtschaft hinweg.» Er nennt dafür ein Beispiel aus seiner eigenen Karriere: Die Fortschritte bei der Entwicklung von Therapien gegen vernachlässigte Krankheiten, die vor allem Menschen im Globalen Süden betreffen, wären ohne Privatwirtschaft nicht möglich gewesen, ist er überzeugt. Tanner war zehn Jahre lang Präsident der ‹Drugs for Neglected Diseases Initiative›. In dieser Zeit seien neun neue Behand-

lungen für sechs tödliche Krankheiten entwickelt worden, unter anderem auch in Zusammenarbeit mit grossen Pharmakonzernen. Unter einer ‹Global Access›-Lizenz konnten

arme Staaten die Medikamente zu den Selbstkosten erwerben. Alle hätten profitiert. «Am Ende zählt nur das Ergebnis, also dass wir die beste Wissenschaft für vernachlässigte Bevölkerungsgruppen nutzbringend einsetzen», sagt er. «Wirkungsvolle Innovation heisst auch nahe bei den Menschen zu sein, auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten und langfristige Partnerschaften aufzubauen.» Und genau dafür biete das BaseLink-Areal den nötigen Raum.





«BaseLink»: Ein Life Science-Areal nach Masterplan


2011 gab das Bürgerspital Basel (BSB) für seine Bodenreserven am Bachgraben in Allschwil bei Burckhardt + Partner einen Masterplan in Auftrag. Der Wunsch des Grundeigentümers: Eine hochwertige und nachhaltige Entwicklung des Areals sowie «durch Kollaboration, Vernetzung und Austausch in einem inspirierenden Umfeld einen Beitrag für eine bessere Gesundheit der Menschen zu leisten». Die Lage ist durch die Nähe zu Frankreich und Deutschland sowie zum Flughafen Basel-Mulhouse für Investoren attraktiv. Der Masterplan sieht vier Abschnitte mit je vier Baufeldern vor, die im Baurecht abgegeben werden. Zwischen den Feldern ist eine öffentlich zugängliche, grüne Schneise geplant. Gleich acht Baufelder werden vom St. Galler Unternehmen «Senn» entwickelt, darunter der riesige «Switzerland Innovation Park Basel Area Main Campus» (früher «GRID» genannt). Das von den Basler Architekten Herzog & de Meuron entworfene Gebäude hat fünf Geschosse mit einer Nutzfläche von 50`000 m2, die sich um einen öffentlich zugänglichen Innenhof, so gross wie ein Fussballfeld, anordnen. Hier soll Platz für Start-ups und Vorreiter aus dem Life Science-Bereich entstehen. Mieter sind u.a. das Biotechunternehmen «Basilea» und das «Departement of Biomedical Engineering» der Universität Basel. Senn entwickelt zudem in Zusammenarbeit mit der R. Geigy-Stiftung und dem Swiss TPH das Gebäude «PH2», was für «Public Health 2» steht. In den Obergeschossen sollen einst Gäste des Instituts, allen voran Doktoranden, temporär nahe bei der Arbeit günstig logieren können. Im EG wiederum ist ein offener Bereich für die patientennahe und bevölkerungsbezogene Forschung geplant.




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