Händewaschen mit recyceltem Wasser in Schulen und Gesundheitseinrichtungen in Afrika und dem Nahen Osten
Die zunehmende Wasserknappheit und mangelnde Hygiene in Schulen oder Gesundheits-
zentren in Ländern des globalen Südens erfordern neue, an lokale Gegebenheiten angepasste
Innovationen: Wie zum Beispiel «Gravit’eau», eine mobile Handwaschanlage der Hochschule
für Life Sciences FHNW. In einem grossangelegten Forschungsprojekt mit dem Swiss TPH
und weiteren Partnern suchen sie nach den Auswirkungen von solchen Technologien auf
das Händewaschen und die Handhygiene in ausgewählten Projektländern.
Maryna Peter ist ein Fan von einfachen Lösungen: Die Umweltingenieurin am Institut für Ecopreneurship der Hochschule für Life Sciences FHNW ist Expertin für Trinkwasserversorgung gerade in Ländern des globalen Südens. Bereits während ihrer Dissertation experimentierten die gebürtige Ukrainerin und ihr Team mit neuartigen Filter-Membranen, die das Wasser reinigen, ohne dass man dafür herkömmliche Hochdruckpumpen verwenden müsste. Der Clou: Das Wasser sickert dank der eigenen Schwerkraft durch die Membran und wird so von Krankheitserregern befreit. Die grosse Herausforderung beim Verzicht auf Hochdruckpumpen war die Frage, wie lange es dauert, bis die Filter verstopfen. Deshalb entwickelte Maryna Peter ein Versuchsmodell, schöpfte Wasser aus dem Fluss und wartete – immer davon ausgehend, dass die Membran schon nach wenigen Tagen verstopft sein würde. Doch nach einer Woche lief das Wasser immer noch fröhlich durch die Membran. Und nach einem Monat ebenfalls. Wie war dies möglich? Lag der Konstruktion ein Fehler zugrunde? «Die Antwort lag in der Natur», sagt Maryna Peter. Durch die Verwendung von Flusswasser bildete sich auf der Membran ein Biofilm, der zwar wuchs, sich aber auch von selbst regulierte und Kanäle bildete, die das Wasser durch den Filter liessen. «Das Einzige was man tun musste, war nichts zu tun», schwärmt Maryna Peter.
Gravit’eau – eine Handwaschanlage für humanitäre Notlagen
Schwerkraft, Flusswasser: Diese einfachen physikalischen Gesetze und Zutaten befeuerten den Arbeitseifer von Maryna Peter und ihrem Team. Sie konnten zeigen, dass die Membranen auch ohne komplizierte technische Apparate und Elektrizität potenziell auch in Ländern des globalen Südens funktionieren. Nun galt es, diese Elemente aufzunehmen und Systeme zu entwickeln, die in humanitären Notlagen wie Flüchtlingslagern eingesetzt werden können, um
die Hygienestandards zu verbessern und grassierenden Durchfallerkrankungen vorzubeugen. In ihrer Freizeit entwickelte sie dann zusammen mit ihrem Mann und einem wei-
teren Freund eine Handwaschanlage. Sie nannten sie gleich wie den eigens dafür gegründeten Verein: «Gravit’eau». Eine Handwaschstation, dank derer man mit einfachen Elementen Abwasser reinigen und recyclen kann. Gravit’eau wird mit einer Fusspumpe betrieben. Zum Händewaschen wird sauberes Wasser über einen Hahn in ein Spülbecken gepumpt. Danach fliesst das Abwasser in zwei Plastikbehälter. In einem ersten wird es von Fetten und grossen Partikeln gereinigt. Das Kernstück des zweiten Behälters ist eine Membran, die das Wasser von Viren und Bakterien befreit. Das saubere Wasser wird in einem dritten Behälter gesammelt und steht wieder zur Nutzung bereit. Ein geschlossener Kreislauf, der mit wenig Wasser, vor allem aber ohne Solarpumpen und Elektronik auskommt.
Aufbau von Werkstätten in Nigeria, Mali und Burkina Faso
Die Technik-Entwicklung ist eine Geschichte. Ob diese aber auch in anderen Ländern akzeptiert und genutzt werden kann, eine andere. «Ein blosser Technik-Transfer in afrikanische Länder bringt nichts», sagt Maryna Peter lapidar. Was dem Team der Hochschule für Life Sciences FHNW vorschwebte, war eine lokale Produktion der Handwaschstation vor Ort. Zusammen mit Terre des Hommes, einer NGO mit viel Erfahrung im humanitären Bereich, errichteten sie lokale Handwerkstätten in Nigeria, Burkina Faso und Mali. Gravit’eau sollte in Werkstätten in den Ländern selbst und aus Materialien vor Ort entstehen, allfällige Re-
paraturen von lokalen Handwerkern vorgenommen werden. «Je nach Region und klimatischen Bedingungen wurden für Gravit’eau unterschiedliche Materialien verwendet», erklärt Maryna Peter.
System-Dimensionen
Innovationen / Neue Entwicklungen an den lokalen Kontext anzupassen, ist zweifellos wichtig. Ebenso wichtig ist aber, diese in einem Gesamtsystem zu analysieren. Die probe-
weise Einführung von Gravit’eau an ausgewählten Schulen und Gesundheitszentren in Nigeria, Burkina Faso, Mali und Palästina stellte Fragen an das Gesundheitssystem als solches: Haben die Menschen überhaupt Zugang zu sauberem Trinkwasser? Wie gut ist die Wasserqualität und wie wird diese von den Menschen wahrgenommen? Wird ein System wie Gravit’eau, das recyceltes Wasser verwendet, kulturell akzeptiert? Wird eine solche Innovation von den
lokalen Ministerien und Behörden unterstützt? «Sicheres Wasser fürs Händewaschen ist zweifellos wichtig», sagt Maryna Peter. «Doch wir mussten uns von der Vorstellung lösen, dass wir mit Gravit’eau über eine Technik verfügen, die allen zugänglich gemacht werden muss. Vielmehr ging es uns darum, die Schwachstellen im gesamten Gesundheitssystem zu analysieren, um zu sehen, wo Gravit’eau seine beste Wirkung entfalten könnte.»
Hands4Health – Wasser mit System
Ein gemeinsames Forschungsprojekt mit dem Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) versucht darüber Klarheit zu erlangen. Das umfassende, von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) finanzierte Projekt «Hands4Health» analysiert die Auswirkungen gezielter Gesundheitsinterventionen auf die Handhygiene der Menschen in Schulen und Gesundheitszentren in den ausgewählten Projektländern. «Nebst der neuen Infrastruktur wie Gravit’eau und dessen Unterhalt sind auch Management-Aspekte und die Verhaltensänderungen der Menschen zentrale Projektkomponenten», sagt Anaïs Galli vom Swiss TPH. Dabei ist die Nachhaltigkeit ein Thema, auf das die Forschenden besonderes Augenmerk legen. Ungeachtet der kulturellen Herkunft tendieren die Menschen dazu, die Dinge zu gebrauchen, bis sie in Einzelteile zerfallen. Ist es so weit, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man investiert in eine teure Reparatur der Infrastruktur oder man lässt es bleiben. «Wir müssen verstärkt auf eine präventive maintenance setzen», sagt Maryna Peter und meint damit eine Kultur des «Sich-Kümmerns», bevor Wassertanks, Spülkästen und Latrinen in die Brüche gehen. Detaillierte Resultate aus dem Hand4Health-Projekt sind 2024 zu erwarten. Danach hofft Maryna Peter, dass die Erkenntnisse ausreichen, um Gravit’eau dort zu implementieren, wo das System den grössten Nutzen für eine bessere Hygiene und Gesundheit entfalten kann.
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