Hitzewellen gefolgt von verheerenden Sturmfluten: Die von Menschenhand ausgelös-ten Klimaveränderungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensbedingungen der Bewohnerinnen und Bewohner unseres Planeten. Jürg Utzinger, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) und Präsident der R. Geigy-Stiftung, über das Lebenselixier Wasser, Schweizer Klimapolitik und die Bedeutung der globalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit.
Herr Utzinger, lebenswichtige natürliche Ressourcen wie Wasser werden auch in der Schweiz immer knapper. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge?
«Die Schweiz ist ein Wasserschloss. Mächtige Gletscher prägen den Alpenraum, zahlreiche Flüsse und Seen das Mittelland. Dieses Bild ist zweifellos richtig und hat sich in unser Selbstverständnis wie in jenes unserer europäischen Nachbarn eingebrannt. Doch die seit der Jahrtausendwende stark spürbaren Klimaveränderungen mit langen Hitze- und Trockenperioden haben den Gletschern arg zugesetzt. Allein in den letzten zwei Jahren
sind 10 % des Schweizer Gletschervolumens verschwunden – so viel wie zwischen 1960 und 1990. Dies hat eine enorme Auswirkung auf unsere Energiegewinnung und
Lebensweise in der nahen Zukunft.»
Welche Rolle kann die Wissenschaft in diesem Prozess spielen?
«Die wissenschaftlichen Messsysteme und Datengrundlagen in der Schweiz sind sehr gut entwickelt, und es bestehen lange Zeitreihen, um die klimatischen Veränderungen genau fassen zu können. Das zentrale Problem ist, dass wir der wissenschaftlichen Evidenz nun auch Taten folgen lassen müssen. Mit jeder Tonne C02, die wir einsparen, können wir die negativen Trends ein klein wenig verlangsamen.»
Und hier spielt die Politik eine wichtige Rolle. Bei den nationalen Wahlen im Oktober 2023 sind die Sitzverluste der Grünen Partei (GP) sowie der Grünliberalen Partei (GLP) frappant. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach für die Klimapolitik in der Schweiz?
«Vor 4 Jahren noch war die Klimakrise in aller Munde. Aber in der Zwischenzeit durchliefen wir eine globale Pandemie, wir erleben Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und haben weltweit mit hoher Inflation zu kämpfen. In der Schweiz wurden die Sorgen ums Klima
durch ökonomische Unsicherheiten wie steigende Krankenkassenprämien oder die anhaltende Migration verdrängt. Die Klimapolitik in der Schweiz wird nach den Wahlen im Herbst 2023 erst recht eine Politik der kleinen Schritte.»
Und diese sind genug?
«Ich befürchte nein. Die Umwelt und das Klima stellen eine der grössten Herausforderungen der Menschen im 21. Jahrhundert dar. Wir brauchen Innovation, Koordination und globale Anstrengungen, um den Klimawandel zu stoppen und unseren Planeten für kommende Gene-
rationen fit zu halten.»
In der globalen Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen fungiert «Sauberes Wasser und Hygiene» als ein wichtiges Ziel (Nr. 6). Es fordert die «Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle». Was leistet das Swiss TPH zur Erreichung dieses zentralen Ziels?
«Das Swiss TPH engagiert sich stark in Forschungsprojekten zur Armutsbekämpfung und Umsetzung der Agenda 2030 in vielen Ländern des Südens. Das «Hand4Health-Projekt» zum Beispiel ist eine Initiative von zehn Partnerinstitutionen, darunter NGOs, Forschungsorganisationen und die Privatwirtschaft. Ihr Ziel ist die Verbesserung des Zugangs der Menschen zu sauberem Wasser gerade in politisch und humanitär fragilen Kontexten wie Nigeria, Burkina Faso, Mali oder Palästina.»
Auch in der Strategie 2025 bis 2028, welche das Swiss TPH dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) sowie den beiden Trägerkantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft Ende Juni einreichte, nimmt das strategische Thema «Umwelt & Klima» einen prominenten Platz ein. Wie kann die Forschung generell zu einer nachhaltigen Umwelt beitragen und was tut das Swiss TPH konkret in diesen Bereichen?
«Das Swiss TPH beschäftigt sich bereits seit Langem mit dem Thema Klimawandel und Gesundheit, zum Beispiel mit unserer Forschung zu Luftverschmutzung, Allergien, welche durch Pollen verursacht werden, und der Wirkung von Hitzewellen im In- und Ausland. Angesichts der Dringlichkeit stand für uns ausser Frage, dass wir diesem Themenkomplex besondere strategische Bedeutung beimessen. Wichtig ist vor allem, dass wir unsere
strategischen Ziele nicht isoliert, sondern in ihrer Wechselwirkung betrachten. So wirkten sich das veränderte Klima und der Verlust der Biodiversität auf das Auftauchen neuer Krankheitserreger aus, auf den sozialen und kulturellen Zusammenhalt der betroffenen Menschen und auf die politischen Entscheidungsträger:innen. Mit inter- und transdisziplinären Ansätzen und auf gegenseitigem Vertrauen beruhenden Partnerschaften wollen wir einen Beitrag leisten, um die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen lokal, national und international zu verbessern.»
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